Gleichgewichtsstörungen
Wie funktioniert das Gleichgewicht?
Um unser Gleichgewicht halten und uns im Raum orientieren zu können, sind komplizierte Verschaltungen zwischen vielen verschiedenen Gleichgewichtsrezeptoren im ganzen Körper und dem Gehirn notwendig. Dabei werden die Informationen über das von den Augen wahrgenommene Raumbild, die Empfindungen von Druck z.B. an den Fußsohlen oder in den Gelenken beim Stehen und die Empfindungen in der Halswirbelsäule bei Kopfdrehungen zusammen abgeglichen, damit unser Körper weiß, wo er sich im Raum befindet.
Im Innenohrbereich liegt das Gleichgewichtsorgan, welches hierzu noch die Empfindung von Drehbewegungen und das Gefühl der Schwere durch die Erdanziehungskraft beisteuert. Tritt in diesem komplexen System der Gleichgewichtsempfindung eine Störung auf, so hat der Körper Probleme, eine plausible Aussage über die Körperlage im Raum zu erstellen und meldet „Schwindel“. Hiermit erklärt sich, dass vielerlei Störungen im Körper zu Schwindel-Empfindungen führen können und deswegen mehrere medizinische Fachbereiche an der Schwindel-Diagnostik und Behandlung beteiligt sein müssen.
Was sind Gleichgewichtsstörungen?
Schwindel ist das führende Symptom von Gleichgewichtsstörungen und kann je nach Ursache sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Typische Störungen des Gleichgewichtsorgans führen meist zu einem plötzlich auftretenden Drehschwindel, der – je nach Ursache – nur wenige Sekunden oder aber über Stunden oder sogar Tage anhalten kann. Andere Störungen des Gleichgewichts gehen dagegen mit einem eher schwankenden Schwindel oder lift-artigen Schwindel einher. Auch das Ausmaß des Schwindels kann sehr unterschiedlich sein. Von leichtem Unsicherheitsgefühl beim Laufen bis hin zu stärkstem Schwindel mit Fallneigung und Erbrechen reicht hier die Bandbreite.
Da Erkrankungen der Gleichgewichtsorgane im Innenohr nicht selten sind, kommt dem HNO-Arzt bzw. der HNO-Ärztin beim Symptom Schwindel eine wichtige Aufgabe zu.
Weitere häufige Ursachen für Schwindel treten durch Störungen an den Nerven im Körper (z.B. latente Lähmungen) oder im zentralen Nervensystem, also dem Gehirn, (Entzündungen, Durchblutungsstörungen, Schlaganfall) auf. Aus diesem Grunde findet am Klinikum Dortmund eine sehr enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der HNO-Klinik und der Neurologischen Klinik bei Patient*innen mit Schwindelerkrankungen statt.
Wie wird Schwindel untersucht und behandelt?
Etliche Patient*innen mit Schwindel treffen notfallmäßig im Klinikum ein. Teils ist der Schwindel so stark, dass zunächst nur eine schnelle orientierende neurologische Untersuchung z.B. zum Ausschluss eines Schlaganfalles möglich ist. Im Zweifel veranlassen die Neurolog*innen auch eine Computertomographie (CT) vom Gehirn, um dies zunächst ausschließen zu können. Bei dem Verdacht auf eine Störung des Gleichgewichtsorganes wird der HNO-Arzt bzw. die HNO-Ärztin hinzugezogen. Bei heftigem Schwindel werden die Patient*innen dann meist stationär aufgenommen und Medikamente gegen Schwindel und Übelkeit gegeben.
Wenn sich der Patient bzw. die Patientin etwas erholt hat, können dann weitergehende Untersuchungen, wie Hörprüfungen, Untersuchungen des Gleichgewichtsorgans, evtl. auch weitere neurologische Untersuchungen mit Ultraschalldiagnostik der Hals- und Hirnschlagadern durchgeführt, um möglichst eine Diagnose und Ursache festzustellen.
Die Behandlung von Schwindelbeschwerden besteht zunächst – je nach Ausprägung – in der Gabe von Medikamenten gegen Schwindel und Übelkeit. Bei einem Funktionsverlust eines Gleichgewichtsorgans wird üblicherweise eine Infusionsbehandlung mit Cortison durchgeführt. Wichtig in der Behandlung des Schwindels ist eine zunehmende Mobilisation und Schwindeltraining, das meist anhand von Übungsbögen durch die Patient*innen eigenständig durchgeführt werden kann. Gerade das Schwindeltraining führt dann wieder zu einer Neuorientierung und „Neuprogrammierung“ des komplexen Gleichgewichtssystems und ist der entscheidende Schritt zur Rehabilitation. Wenn sich die Diagnose der schwindel-auslösenden Krankheit geklärt hat und der Patient bzw. die Patientin wieder sicher gehen und stehen kann, ist eine Entlassung aus der stationären Behandlung möglich.
Wichtig ist, dass bei einer akuten Gleichgewichtsstörung im HNO-Bereich die Fahrtauglichkeit bis zum Abklingen der Beschwerden nicht gewährleistet ist und nur der HNO-Arzt bzw. die HNO-Ärztin diese wieder zusagen kann.
Soweit in Praxen niedergelassener Ärzt*innen eine Klärung von Schwindelbeschwerden nicht möglich sein sollte, so kann auch im Klinikum Dortmund eine ambulante Untersuchung wegen Schwindelbeschwerden erfolgen. Diese erfordert dann jedoch auch in der Regel die Beteiligung der anderen Fachkliniken im Sinne der Struktur eines Schwindelzentrums für eine gute und fundierte Beratung.
Typische Störungen des Gleichgewichtsorgans:
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
Hierbei handelt sich um den sogenannten gutartigen Lagerungsschwindel, bei dem es zu einer Lösung von kleinen „Steinchen“ oder „Kristallen“ im Gleichgewichtsorgan kommt. Diese bewegen sich bei bestimmten Lageänderung, insbesondere des Kopfes, dann in den flüssigkeitsgefüllten Gängen des Gleichgewichtsorgans und verursachen bei der entsprechenden Bewegung Schwindel. Dieser hält üblicherweise Sekunden an und wird als typischer Drehschwindel beschrieben. Hier können praktische Lagerungsmanöver und Schwindeltraining meist zu einer raschen Besserung des Schwindels beitragen.
Akute Vestibulopathie
Die akute Vestibulopathie beinhaltet einen Funktionsverlust eines Gleichgewichtsorgans bzw. eines sogenannten Bogengangs oder des Hör-/Gleichgewichtsnerven. Sie äußert sich durch mehr oder weniger heftigen Drehschwindel, meist mit Übelkeit und Erbrechen, so dass die betroffenen Patient*innen meist nur mit geschlossenen Augen liegen können. Ist die Diagnose relativ eindeutig, erfolgt meist eine stationäre Aufnahme zur Infusionsbehandlung mit Kortison und Medikamenten gegen die Übelkeit und das Erbrechen. Nach wenigen Tagen tritt meist bereits eine deutliche Besserung des Schwindels ein und es ist mit einer vollständigen Erholung des Gleichgewichtsorgans bzw. einer Anpassung des Körpers an den Funktionsverlust zu rechnen. Hierbei helfen besonders auch Schwindelübungen.
Morbus Menière
Der Morbus Menière wird als Erkrankung gesehen, der sich durch heftige Drehschwindelattacken, meist zusammen mit einem Hörverlust und Tinnitus auf dem betroffenen Ohr bemerkbar macht. Für die sichere Diagnosestellung ist meist eine längere Beobachtung des Krankheitsverlaufes notwendig, da nach einem einmaligen Schwindelereignis eine Bewertung schwierig ist. Für den Schwindel ist dabei der wiederkehrende Funktionsausfall eines Gleichgewichtsorgans verantwortlich. Ursächlich liegt bei dieser Erkrankung vermutlich ein Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Flüssigkeiten im Gleichgewichts- und Hörorgan zu Grunde, das durch Vermischung der Flüssigkeiten zu immer wiederkehrenden Anfällen mit Schwindel und Hörverlusten führt.
Behandelt wird diese Erkrankung zunächst symptomatisch, das heißt bei einem Schwindelanfall wird häufig eine stationäre Aufnahme und Infusionsbehandlung mit Kortison durchgeführt. Weitere medikamentöse oder in fortgeschrittenen Fällen auch operative Maßnahmen stehen außerdem zur Option, müssen aber jeweils sehr individuell entschieden werden.
Seltenere Schwindelursachen
In seltenen Fällen können auch andere Ursachen am Gleichgewichtsorgan für den Schwindel vorliegen. Hierzu gehören beispielsweise die Vestibularisparoxysmie, die vestibuläre Migräne oder eine Dehiszenz des Bogengangs.
Funktioneller Schwindel
In vielen Fällen lässt sich trotz umfangreicher Diagnostik der beteiligten Fachbereiche eine Ursache für den Schwindel nicht finden. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um eine harmlose Form handelt, die sich mit Schwindelübungen und körperlicher Aktivität gut therapieren lässt.